Berlin erlebt derzeit eine alarmierende Serie von Einschuchterungen, Angriffen und gewaltsamen Übergriffen, die ein Licht auf ein Problem werfen, das in der Hauptstadt lange unterschätzt wurde: Schutzgelderpressung. Während die Polizei von einer „deutlichen Häufung“ spricht, dominiert in vielen betroffenen Branchen vor allem eines – Schweigen aus Angst.
Besonders im Fokus stehen mehrere Fahrschulen im Berliner Westen, die in den vergangenen Wochen wiederholt zum Ziel von Angriffen wurden. Die Betreiber berichten von massiven Drohungen, Erpressungsversuchen und einem Klima, in dem sich viele Unternehmer schutzlos fuhlen.

Vier Angriffe in einem Monat – und ein Muster wird sichtbar
In der Spandauer Altstadt zeigt eine Fahrschule ihre Werbeaufschrift „Mit Sicherheit zum Erfolg“. Doch die Realität könnte kaum weiter davon entfernt sein: Die Scheibe weist mehrere Einschusslöcher auf, die in der vergangenen Woche durch einen bislang unbekannten Täter verursacht wurden. Es ist bereits der vierte bewaffnete Angriff in nur einem Monat.
Drei der sieben Filialen des Unternehmens wurden beschossen, eine davon sogar zweimal innerhalb kurzer Zeit. Die Betreiber, eine turkischstämmige Familie, berichten von einem systematischen Vorgehen, das sie unmittelbar unter Druck setzen soll.
Ein Ermittler, der anonym bleiben will, formuliert es drastisch:
„Das Muster ist klar. Wer sich weigert zu zahlen, wird eingeschuchtert – erst verbal, dann gewaltsam.“
„Zahlen oder zerstört werden“ – Unternehmer sprechen von massiven Drohungen
Die betroffenen Betreiber berichten, dass Unbekannte seit Wochen versuchen, sie zur Zahlung von Schutzgeld zu zwingen. Sie sprechen von anonymen Anrufen, offenen Drohungen und Besuchen von Männern, die „keine Diskussionen“ duldeten.
Einer der Betreiber erzählt:
„Sie sagten, es sei besser fur uns, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Wenn nicht, wurden sie dafur sorgen, dass unser Geschäft nicht mehr offenbleibt.“
Die Art der Erpressung ist typisch fur mafiöse Strukturen und ähnelt Methoden, die aus Suditalien, dem Balkan und Teilen des Nahen Ostens bekannt sind. Oft geht es nicht nur um Geld – auch die Verpflichtung, bestimmte Zulieferer zu nutzen oder vorgegebene Mitarbeiter anzustellen, ist Teil der erzwungenen „Geschäftsbeziehungen“.
Wie viele Unternehmen in Berlin betroffen sind, daruber gibt es keine offiziellen Statistiken. Experten gehen jedoch davon aus, dass es sich um ein „erhebliches Dunkelfeld“ handelt.
Ein erfahrener Beamter aus der organisierten Kriminalität sagt:
„Sehr viele zahlen. Aber die wenigsten melden es – aus Angst vor noch schlimmeren Konsequenzen.“

Auch große Handelsketten geraten in den Fokus
Neben Fahrschulen ruckte zuletzt auch eine große Supermarktkette ins Zentrum mutmaßlicher Erpressungsversuche. Filialleiter berichten von Drohungen, Übergriffen auf Fahrzeuge und zerstörten Fenstern. Auch hier wird vermutet, dass es um Schutzgeldforderungen geht.
Die Gewerkschaft des Einzelhandels zeigte sich besorgt:
„Wenn solche Strukturen Fuß fassen, droht ein Klima der Angst, das ganze Geschäftsviertel lähmt.“
Polizei warnt Unternehmer – doch viele furchten den Schritt zur Anzeige
Die Berliner Polizei hat auf die Vorfälle reagiert und allen betroffenen Unternehmen dringend empfohlen, Anzeige zu erstatten. Gleichzeitig betont sie, dass die Ermittlungen „mit Hochdruck“ laufen. Doch das Vertrauen vieler Unternehmer in staatlichen Schutz ist erschuttert.
Ein Fahrschulbetreiber fasst es bitter zusammen:
„Wenn sie schon mit Waffen vor unseren Schaufenstern stehen – wie sollen wir glauben, dass eine Anzeige uns sicherer macht?“
Diese Angst ist nachvollziehbar und basiert auf Erfahrungen aus anderen Großstädten Europas, in denen Schutzgelderpressung oft erst spät als strukturelles Problem erkannt wurde.
Ein wachsendes Problem – und kaum Daten
Fachleute warnen seit Jahren, dass Deutschland zu wenig uber Schutzgeldnetzwerke weiß. Das Thema gilt als tabuisiert, da kaum jemand freiwillig daruber spricht. Zudem existiert keine bundeseinheitliche Registrierung solcher Fälle.
Dadurch bleibt ein System im Verborgenen, das sowohl kleine Unternehmer als auch größere Firmen unter Druck setzt. Experten betonen, dass Schutzgelderpressung selten isoliert auftritt, sondern Teil größerer krimineller Strukturen ist — mit Verbindungen zu illegalem Glucksspiel, Drogenhandel und Menschenhandel.

Eine Stadt im Alarmzustand – und viele offene Fragen
Während die Ermittlungen weiterlaufen, wächst die Sorge, dass die jungsten Angriffe nur die Spitze des Eisbergs darstellen. Unternehmer in verschiedenen Bezirken berichteten bereits von ähnlichen Vorfällen, auch wenn sie sich aus Angst weigern, öffentlich daruber zu sprechen.
Berlin steht damit vor einem sicherheitspolitischen Problem, das sich nicht ignorieren lässt:
Wie schutzt man Menschen, die aus Angst vor Gewalt schweigen?
Wie stoppt man Strukturen, die im Schatten operieren?
Die Antwort darauf wird entscheidend dafur sein, ob sich Schutzgelderpressung in der Hauptstadt weiter ausbreitet – oder ob Berlin gelingt, die Täter sichtbar zu machen und ihr Netz zu zerschlagen.




