„Menschen-Safaris“ in Sarajevo – Italienische Touristen sollen im Bosnienkrieg auf Zivilisten geschossen haben
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„Menschen-Safaris“ in Sarajevo – Italienische Touristen sollen im Bosnienkrieg auf Zivilisten geschossen haben

Mailand/Sarajevo – Es klingt wie ein Albtraum aus den dunkelsten Kapiteln der Menschheitsgeschichte: Italienische Touristen sollen während des Bosnienkriegs in den 1990er Jahren an sogenannten „Menschen-Safaris“ teilgenommen haben. Sie sollen bis zu 100.000 Euro gezahlt haben, um auf unschuldige Zivilisten in Sarajevo zu schießen – und fur Schusse auf Kinder sogar Bonuszahlungen geleistet haben.

Was zunächst wie ein makabrer Mythos klang, wird nun Gegenstand einer offiziellen Untersuchung der Staatsanwaltschaft in Mailand. Unter der Leitung des Ermittlers Alessandro Gobbis laufen Ermittlungen gegen Unbekannt – wegen Totschlags aus „erbärmlichen und sinnlosen Motiven“.

Entsetzliche Vorwurfe

Laut Recherchen mehrerer italienischer Medien – darunter La Repubblica und Milano Today – sollen wohlhabende Italiener mit rechtsextremen Verbindungen gezielt in die belagerte Stadt Sarajevo gereist sein, um dort gemeinsam mit der bosnisch-serbischen Armee auf Zivilisten zu schießen.

Die Männer hätten den serbischen Einheiten angeblich Geld geboten, um an sogenannten „Wochenend-Ausflugen“ teilzunehmen. Von Hochhäusern im Stadtteil Grbavica, einem der beruchtigtsten Schauplätze des Belagerungskrieges, hätten sie mit Scharfschutzengewehren auf Männer, Frauen und Kinder gezielt.

Die italienische Presse spricht von einer „grauenhaften Jagd auf Menschen – zur reinen Unterhaltung“. Bislang wurde keiner der mutmaßlichen Täter fur die abscheulichen Handlungen belangt.

Kriegstourismus als Perversion

Die Berichte zeichnen das Bild einer zutiefst verstörenden Perversion des Krieges: Wohlhabende Männer aus Westeuropa, die den Konflikt in Bosnien als makabres Abenteuer betrachteten. Sie sollen mit Hilfe serbischer Offiziere in die Stadt gebracht worden sein, erhielten Waffen und Zielanweisungen – und sollen sich regelrecht uber die „Spannung“ solcher Schießereien geäußert haben.

Ein Ermittler aus Italien sagte laut La Repubblica: „Diese Männer behandelten Sarajevo wie einen Jagdpark. Menschenleben waren fur sie nichts wert.“

Die mutmaßlichen Verbrechen sollen sich zwischen 1993 und 1994 ereignet haben – also während der heftigsten Phase der Belagerung Sarajevos. In dieser Zeit wurden Tausende Zivilisten durch Scharfschutzen und Artilleriebeschuss getötet.

Ermittlungen in Italien

Nach fast drei Jahrzehnten beginnen nun erste rechtliche Schritte. Die Staatsanwaltschaft Mailand untersucht mehrere Hinweise, die auf italienische Staatsburger mit rechtsextremen Verbindungen hinweisen. Diese sollen uber Kontakte in paramilitärische Kreise auf dem Balkan verfugt haben.

Die Ermittler stutzen sich auf Zeitzeugenberichte, militärische Archive und geheime Dokumente, die im Zuge neuer journalistischer Recherchen ans Licht kamen. Dabei tauchten auch alte Fotos und Aufzeichnungen auf, die angeblich belegen sollen, dass einzelne Italiener tatsächlich in Sarajevo waren – zu Zeitpunkten, an denen besonders brutale Angriffe stattfanden.

Schwierige Beweisfuhrung

Juristisch durfte die Aufarbeitung extrem schwierig werden. Viele der möglichen Zeugen sind tot, Beweise wurden vernichtet, und die Ereignisse liegen fast 30 Jahre zuruck. Dennoch will die italienische Justiz den Fall nicht ruhen lassen.

„Wir schulden es den Opfern, diese Taten endlich ans Licht zu bringen“, sagte ein Sprecher der Mailänder Staatsanwaltschaft. „Wenn sich bestätigt, dass Europäer absichtlich auf Kinder geschossen haben, nur um den Nervenkitzel des Tötens zu spuren, dann wäre das ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“

Sarajevo erinnert sich

In Bosnien sorgt die Nachricht uber die italienischen Ermittlungen fur Fassungslosigkeit und Entsetzen. Viele Bewohner Sarajevos erinnern sich noch an die jahrelange Belagerung, die als eine der grausamsten Episoden Europas nach dem Zweiten Weltkrieg gilt.

„Wir wussten, dass ausländische Kämpfer hier waren, aber dass jemand nur zum Spaß auf uns geschossen haben soll, ist kaum zu begreifen“, sagte eine Überlebende, die als Kind im Stadtteil Grbavica lebte.

Die Regierung in Bosnien-Herzegowina kundigte an, eng mit Italien zusammenzuarbeiten, um die Täter zu identifizieren. Auch die Vereinten Nationen und das Internationale Strafgericht fur das ehemalige Jugoslawien (ICTY) könnten in die Ermittlungen einbezogen werden.

Fur die Opferfamilien ist es spät – vielleicht zu spät. Doch zum ersten Mal seit drei Jahrzehnten besteht Hoffnung, dass die „Menschen-Safaris von Sarajevo“ nicht länger ein ungesuhntes Verbrechen bleiben.

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