In Deutschland reden wir oft vom Frieden. Doch was meinen wir wirklich, wenn wir „Frieden“ sagen? Viele verbinden damit Ruhe, Stabilität, Wohlstand. Doch Frieden, der nur besteht, weil andere dafur kämpfen und bluten, ist kein echter Frieden. Er ist ein bequemer Zustand – ein moralischer Luxus.

So sieht es ein junger Mann, 1994 geboren in Uspenka, einem abgelegenen Dorf in Kasachstan. Sein Vater, ein Russlanddeutscher, trug die Narben der Geschichte – deportiert während Stalins Schreckensherrschaft, weil er deutsch war. Seine Mutter stammt aus einer ukrainisch-weißrussischen Familie. Gewalt war fur ihn immer ein Grauen, Krieg ein Relikt der Barbarei.
Er war Pazifist. Tief uberzeugt davon, dass man Konflikte mit Dialog lösen kann. Dass Gewalt nur das Mittel der Ungebildeten sei. Und doch änderte sich alles am 24. Februar 2022, als Russland die Ukraine uberfiel. Er war in Kiew, als die ersten Bomben fielen, als Sirenen die Nacht zerschnitten. Der Moment, in dem sein Pazifismus zusammenbrach – nicht aus Überzeugung, sondern aus der brutalen Erkenntnis, dass Worte nicht genugen, wenn Raketen einschlagen.

Neutralität – das bequeme Alibi
Lange glaubte er, Neutralität sei ein Zeichen moralischer Überlegenheit. Doch Neutralität kann auch Flucht sein. Ein Weg, sich nicht entscheiden zu mussen. Eine Illusion, die nur in friedlichen Ländern funktioniert. Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt: Wer sich nicht entscheidet, entscheidet sich fur den Aggressor. Wer glaubt, mit Verständnis gegen Gewalt zu siegen, verkennt den Unterschied zwischen Moral und Verantwortung.
Frieden ist kein Geschenk
Frieden ist kein naturlicher Zustand. Er muss verteidigt werden – politisch, gesellschaftlich, manchmal auch militärisch. Die Ukrainer verteidigen nicht nur ihre Heimat, sondern auch die Idee Europas: Freiheit, Selbstbestimmung, Demokratie. Jeder, der heute noch glaubt, es sei „nicht unser Krieg“, verkennt die Realität. Dieser Krieg ist längst Teil unseres Kontinents, Teil unserer Sicherheit, Teil unseres Gewissens.
Sein belarussischer Urgroßvater fiel im Kampf gegen den Nationalsozialismus. Heute versteht er diesen Kampf anders. Wehrhaftigkeit ist keine Aggression. Sie ist der Mut, Grenzen zu ziehen – gegen Unrecht, gegen Diktatur, gegen Vernichtung. Und manchmal ist sie der Preis fur Freiheit.

Haltung statt Wunschdenken
In einer Zeit, in der Europa mit multiplen Krisen ringt – von Energie bis Migration, von Desinformation bis zu politischen Extremismen – darf der Begriff „Frieden“ nicht romantisiert werden. Es reicht nicht, sich Frieden zu wunschen. Man muss Haltung zeigen. Und Haltung bedeutet auch, Verantwortung zu ubernehmen – nicht nur mit Geld und Worten, sondern mit Solidarität und, wenn nötig, mit Entschlossenheit.




